Leseprobe 2

Tag 6: Mit einem Bein im Knast Strad/Tarrenz – Nauders (81 km)

Als wir beim Frühstück den nächsten Reisetag planen, wird Dyrk plötzlich kalkweiß, und es bilden sich Schweißperlen auf seiner Stirn. Dabei habe ich nur einen Satz aus dem Reiseführer vorgelesen: „Da Sie nun in Kürze die EU- Außengrenze zur Schweiz passieren, vergessen Sie nicht, Ihr Ausweisdokument (Pass, Personalausweis) bereitzu- halten, denn hier werden Grenzkontrollen durchgeführt!“ Nun ist es nicht so, dass unser Reisegefährte seine Papiere zu Hause vergessen oder sie etwa verloren hätte. Die Sache ist viel schlimmer: Der Mann wird, wie er uns bald gesteht, in der Schweiz gesucht und ist mit einer Hafstrafe bedroht.

Nun muss man fairerweise hinzufügen, dass Dyrk sich keines Kapitalverbrechens schuldig gemacht hat. Sein Delikt besteht lediglich darin, dass er bei einem Urlaub in der Schweiz die örtlichen Parkrichtlinien ein wenig frei interpretiert und sich danach geweigert hat, das an seine Heimatadresse zugestellte Knöllchen zu bezahlen. Doch in einem solchen Fall kennt die eidgenössische Justiz natürlich kein Späßli. In einem weniger freundlichen Brief drohte man ihm an, ihn mit drei Tagen Hafzu belegen, sollte man seiner Person auf Schweizer Staatsgebiet habhaft werden. Immerhin besteht offenbar ein Auslieferungsverbot für die deutschen Justizbehörden, sonst wäre er ja bereits längst in Handschellen über die Grenze gebracht worden. Dass er sich nun allerdings freiwillig anschickt, sich in die Reichweite seiner Häscher zu begeben, nötigt uns Respekt ab. Natürlich sind wir ebenfalls besorgt: Es wäre ziemlich blöd, die Reise ab der Grenze nur noch zu zweit fortzusetzen. Ob wir Dyrk im Ernstfall gegen Fränkli-Kaution wohl freikaufen könnten? Angesichts der Euro-Schwäche dürfen unsere Barmittel dafür kaum ausreichen. Klar ist: Im Falle einer Festnahme werden Christoph und ich zuerst einmal Dyrks Proviant unter uns aufteilen.

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Natürlich wählen wir unerschrocken die Schweizer Variante. Einigermaßen irritierend ist es dabei, dass es zunächst zügig bergab geht. An der alten Zollstation Finstermünz vorbei führt die Route auf einer wenig befahrenen Straße zunächst hinab in das Dorf Martina. Auch auf diesem Weg geht es durch einen Tunnel, was etwas unangenehm ist, denn ab und zu überholen auch hier Autos. An dem mulmigen Gefühl beim Überholtwerden bin ich aber vor allem selber schuld, denn ich bin nicht extra abgestiegen, um die Beleuchtung am Rad einzuschalten. In voller Fahrt ist das natürlich etwas schwierig, und Anhalten hätte bedeutet, den ganzen Schwung zu verlieren. Zum Glück sehen mich offenbar Brummi & Kollegen rechtzeitig, und ich ende nicht als Kühlerfigur.

Immer näher kommen wir der für Dyrk gefährlichen Schweizer Grenze. Werden uns die ordnungsliebenden Eidgenossen mit Rasterfahndung, Leibesvisitation und komplexen Einreiseanträgen behelligen? Können Christoph und ich wegen Beihilfe zur Strafvereitelung belangt werden, wenn sie Dyrk schnappen? Immerhin haben wir außer den Wasserresten aus der Sauerbrunnquelle keine illegalen Drogen dabei und planen auch nicht, den Ausländeranteil der Schweiz durch dauerhaften Zuzug weiter in die Höhe zu treiben. Etwas beruhigt sind wir zudem, als wir sehen, dass sich die helvetische Grenzfestung als kleine Holzbude entpuppt. In ihr sitzen zwei Zöllner, die ihrer Außenwelt offenbar kein besonderes Interesse zollen. Kurz überlege ich, die beiden in ihrer Ruhe zu stören und nach dem genauen Weg Richtung Pass zu fragen. Doch ich befürchte, Dyrk hätte das nicht lustig gefunden und mich vorher mit einer mitgebrachten Selleriestange aus heimischer Zucht ausgeknockt. Also lasse ich es lieber. Möglichst unauffällig ein Liedchen pfeifend schieben wir unsere Räder in die Schweiz hinein. Wir wähnen uns schon in Sicherheit, da steht ein Zöllner auf und verlässt über eine Seitentür die Zollstation. Uns stockt der Atem. Der Mann schaut uns kurz an und greift dann in seine Jackentasche. Holt er jetzt seine Dienstwaffe heraus? Oder seine Dienstpfeife und pfeift uns zurück?

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Alpencross auf der Via Claudia Augusta, ein Tourenbericht und praktische Tipps.